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Nordirland: Nachruf auf Dan Keating (1902-2007)

Standhaft bis zuletzt

18. Oktober 2007 | Der letzte Veteran des irischen Unabhängigkeitskrieges hat die britische Herrschaft über Irland nie akzeptiert – mit allen Konsequenzen.

Da sage noch jemand, Rebellion sei nicht gesund. Denn über 105 Jahre alt ist er geworden, der ehemalige IRA-Volunteer Dan Keating, der im Januar 1902 in der irischen Grafschaft Kerry zur Welt kam und Anfang Oktober dort starb. Er war der letzte Veteran des Kampfes gewesen, den die Irish Republican Army (IRA) 1919 gegen die britische Kolonialmacht begann – und den sie seiner Meinung nach auch gewonnen hätte, wenn da nicht Verrat, politische Kompromisse, Sachzwangpolitik ins Spiel gekommen wären. Er, der einst der beim Osteraufstand 1916 in Dublin proklamierten Republik seine Treue schwur, lehnte auch Jahrzehnte später alle Institutionen ab, die nicht das repräsentierten, wofür er gekämpft hatte: einen von Britannien unabhängigen, gesamtirischen Staat.

Schon im Alter von vierzehn Jahren war der älteste Sohn einer armen Familie mit sieben Kindern der IRA-Jugendorganisation Fianna Éireann beigetreten. Er beobachtete die Bewegungen der britischen Truppen und schmuggelte Waffen. Den Ausschlag gaben für ihn der Osteraufstand und die Hinrichtung seiner Anführer, wie er in einem BBC-Interview vor einem halben Jahr noch erläuterte: «Das hat damals die Stimmung umschlagen lassen, alle wollten kämpfen, natürlich vor allem wir Jungen.» Mit achtzehn Jahren trat er der IRA bei, organisierte Angriffe aus dem Hinterhalt (bei denen mehrere britische Soldaten umkamen) und verfolgte auch dann noch sein Ziel (die Vertreibung der britischen Besatzungsmacht), als IRA-Chef Michael Collins Ende 1921 mit dem Feind in London ein Abkommen schloss: Die Teilung Irlands in einen damals nur halb unabhängigen Staat im Süden und in einen britisch dominierten Norden.

Das wollte Keating nicht hinnehmen, und so blieb er in der IRA – im Bürgerkrieg, der nach dem Abkommen von 1921 zwischen den Truppen des südirischen Freistaates (zumeist alte Kampfgefährten) und den irischen RepublikanerInnen entbrannte, und auch in den Jahrzehnten danach. Viele IRA-Freiwillige verliessen nach der Niederlage 1923 Irland, für ihn aber kam eine Auswanderung nicht in Frage. Er arbeitete in Dublin und Tralee als Bierzapfer, engagierte sich in der Gewerkschaft, wurde mehrfach interniert und beteiligte sich 1933 an einem Attentat auf den irischen Faschistenführer Eoin O'Duffy. Während einer erneuten IRA-Kampagne in den vierziger Jahren ging Keating – immer noch Barkellner – nach London. Dort leitete er eine IRA-Einheit, die «kommerzielle Ziele» attackierte und mit Bomben Kraftwerke lahmzulegen versuchte.

Zurück in Irland, wurde er wieder eingesperrt. Später organisierte er Geldsammlungen für die republikanische Sache, versteckte Waffen – und erlebte eine Enttäuschung nach der anderen. Michael Collins war nur der ers­te irische Republikaner gewesen, der das grosse Ziel des irischen Befreiungskampfs aufgegeben und Kompromisse geschlossen hatte. Ihm folgten 1926 Éamon de Valera (der im Bürgerkrieg gegen den irischen Freistaat die IRA angeführt hatte und später Staatspräsident eben dieses Freistaates wurde), 1948 der ehemalige IRA-Stabschef Sean McBride mit seiner Partei Clann na Poblachta, 1970 Tomás Mac Giolla mit seiner IRA (die damals Official IRA hiess) und 1986 Gerry Adams samt der Provisional IRA. All diese Abspaltungen wurden – zeitweise zumindest – mit hohen Ämtern belohnt.

Dan Keating hingegen, der immer auf der Verliererseite landete, blieb der kleine Bierzapfer. Er liebte die rein irischen Sportarten Gaelic Football und Hurling, hatte im Dubliner Croke Park 150 Endspiele besucht (ein Rekord) und ging erst dann nicht mehr in das wichtigste Stadion des Landes, als dort auch der «britische» Fussball gespielt wurde. Selbst nach seiner Pensionierung wollte er mit dem irischen Staat im Süden nichts zu tun haben. Er lehnte bis zuletzt die Rente ab, die allen TeilnehmerInnen am Unabhängigkeitskrieg zusteht. Vor fünf Jahren verweigerte er auch die Annahme eines Schecks, den die südirische Staatspräsidentin Mary McAleese anlässlich seines hundertsten Geburtstags auf ihn ausgestellt hatte. McAleese, sagte er, sei nicht die Präsidentin Irlands.

Seine vielleicht letzte grössere Reise unternahm Dan Keating vor über einem Jahr. Der damals 104-Jährige reiste allein und mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Tralee nach Cork, wo der britische Regisseur Ken Loach seinen in Cannes preisgekrönten Film «The Wind That Shakes the Barley» vorstellte. Der Film (siehe das Interview mit Ken Loach) schildert den irischen Unabhängigkeitskrieg, die Brutalität der britischen Besatzungsmacht und den Konflikt zwischen jenen IRA-Mitgliedern, die – angeblichen Sachzwängen folgend – einen Kompromiss und die Teilung Irlands befürworteten, und jenen, die ihre Vision von einem freien, sozialen Gesamtirland nicht aufgeben wollten.

Der Film gebe die damalige Situation exakt wieder, sagte Keating, fuhr wieder zurück und wandte sich der politischen Arbeit zu. Der nordirische Friedensprozess sei «ein Witz», verkündete er im BBC-Interview und appellierte im Frühjahr 2007 per Zeitungsinserat an Gerry Adams' IRA-Partei Sinn Féin, nicht mit der nordirisch-britischen Polizei zu kooperieren. Doch auch diesen Streit verlor er. Sinn Féin akzeptierte die nordirischen Sicherheitskräfte. Es war der Preis für ihre Teilhabe an der Macht in einem Staatsgebilde, das Dan Keating nie akzeptierte. (pw)